Papa will selbstständig werden. Ich bin es schon.

Kurz nach dem fünften Geburtstag meiner Tochter machte ich mich mit einer Beratungspraxis selbstständig. Trotz der gut gemeinten Ratschläge, ich solle als junger Vater doch auf Nummer sicher gehen und meine Festanstellung beibehalten, ließ ich mich auf das Abenteuer ein. Damals zog mich jedoch nicht nur die Aussicht an, besser zu verdienen und mich beruflich frei auszuleben. Viel mehr wollte ich flexibel sein, meine Zeit nach unseren familiären Bedürfnissen organisieren und mehr für mein Kind da sein. Wenn mich jemand heute, drei Jahre später, fragt, ob ich mein Ziel erreicht habe, blicke ich auf die Dinge zurück, die ich zunächst lernen musste.

Durchstarten mit Unterstützung

Schon zu Beginn der Praxisgründung fielen mir zwei Dinge auf: Ich bin nur so selbstständig wie mein eigenes Kind und so flexibel wie meine Kinderbetreuung. Ich merkte schnell, dass ich diesen Berg von Anrufen, Formularen, Terminen und Besorgungen nur dann abarbeiten kann, wenn meine Tochter mitzieht. Dass ich von einer Fünfjährigen nicht erwarten kann, dass sie still sitzt, nicht ständig Hunger hat und keine Unterstützung auf der Toilette braucht während ich telefoniere, wusste ich im Voraus. Doch wenn man sich tatsächlich in solchen Situationen wieder findet, staunt man über die eigene Kurzatmigkeit, Vergesslichkeit und die anschließende Schlaflosigkeit. Dabei war meine Tochter schon mit ihren fünf Jahren sehr selbstständig, was sie auch stets gegenüber den Erzieherinnen betonte: „Mein Papa will selbstständig werden. Ich bin es schon.“ Ich wusste zwar, dass ich sehr viel Glück hatte. Jedoch fragte ich mich auch ständig, ob ich dem Kind so noch gerecht werde und die Praxis den ganzen Stress wirklich wert ist.

In dieser Phase hat es mir sehr geholfen, mein soziales Netzwerk zu aktivieren. Statt noch längerer Kindergartenzeiten suchte ich eine flexible Nachmittagsbetreuung und fand sie glücklicherweise in der Nachbarschaft. Feste Oma-Tage ermöglichten zusätzlich regelmäßige Abendtermine mit meinen Kunden. Es war somit möglich, halbwegs auf die Terminwünsche der Kunden einzugehen.

Akzeptanz: Wir Eltern sind auch nur Menschen

Ich arbeitete viel. Es ging um meinen Ruf und meinen Kundenstamm. Meine Idee davon, mehr Zeit für meine Tochter zu haben, ging also nicht ganz auf. In den Nächten quälte ich mich durch die Buchhaltung, die Steuererklärung und die Dokumentation. Manchmal verschliefen wir daraufhin den Morgenkreis im Kindergarten oder fanden Quittungen getarnt als Lesezeichen Monate später im Märchenbuch wieder. Das alles passierte einfach. Und ich ärgerte mich sehr. Bis ich Nachsicht lernte.

Es bringt nichts, dem überhöhten Anspruch nachzujagen, alles perfekt zu meistern. Es war in Ordnung, die langen Bastelabende und die Backnachmittage vorübergehend an Oma oder andere Helfer abzugeben. Meine Tochter machte mir keine Vorwürfe, denn wir behielten einige unserer Rituale weiterhin bei. Genauso war es in Ordnung, an der Arbeit nicht jeden Terminwunsch erfüllen zu können. So fing ich an, die Balance zu suchen, von der ich doch so geschickt in meinen Coachings predigte. Die Balance ließ sich Zeit, stellte sich aber irgendwann ein.

Trotzdem gibt es immer wieder Zeiten, die mich überfordern. Zeiten, in denen meine Tochter krank wird. Tage, an denen sie über die Hausaufgabenbetreuung in der Schule schimpft. Verabredungen, die wir absagen müssen. Aber es kommt sicher einigen von euch bekannt vor. Ob angestellt oder selbstständig, alleinerziehend oder nicht:
Wir kommen alle mal an unsere Grenzen. Wer an dieser Stelle auf gute Organisation schwört, hat sicherlich recht. Aber eben nur teilweise.

Die Vorteile einer gesunden Balance

Heute noch setzt mich das ständige „Dranbleiben“ unter Druck. Schließlich hängt unsere finanzielle Sicherheit davon ab. Dennoch habe ich gelernt, auch die Vorteile zu genießen. Tatsächlich stehen uns als Familie inzwischen zwei freie Nachmittage zur Verfügung. Gemeinsam schauen wir uns Hausaufgaben an, machen Ausflüge und nehmen Verabredungen wahr, bei denen auch ich mal auf einen Kaffee bleibe, um mich mit anderen Eltern auszutauschen. Das ganz normale Leben eben.

Ich habe gelernt, in der Arbeit Grenzen zu setzen, digitale Hilfsmittel wie Videokonferenzen zu nutzen, Anfahrtswege zu sparen und Auszeiten bewusst zu planen. In der Praxis wurde vieles Routine und auch zu Hause spielten sich die Abläufe ein. So lernten wir gemeinsam, mit der Selbstständigkeit auszukommen. Ich gebe zu, dass es meiner Tochter in der Regel besser gelingt. Zumindest wenn es darum geht, zuversichtlich zu bleiben und die Ruhe zu bewahren.

Ausblick

Wie wird meine Tochter diese Zeit als Erwachsene reflektieren? Bisher hat sie die neuen Erfahrungen mit einer unglaublichen Selbstverständlichkeit aufgenommen. Wie viel können wir uns noch zutrauen? Das werden wir herauszufinden müssen. Ich wünschte mir, hierbei möglichst achtsam zu sein.

Momentan genießen wir die Vorteile von Papas erlernter Selbstständigkeit und versuchen, Herausforderungen zu meistern, ohne die Grenzen unserer Belastbarkeit zu überschreiten.

Christian

Christian ist Vater von Zwillingen und einem kleinen Nachzügler. Von Beruf ist Christian Sozialpädagoge und arbeitet in einem Jugend- und Kinderzentrum. Er unterstützt mich bei Themen zu Kindererziehung und hilft mir bei der Auswahl der richtigen Produkte für unsere Vergleiche.