Ein halbes Jahr als alleinerziehender Vater

Eigentlich müsste ich das können. Eigentlich müsste ich das wissen. Eigentlich hätte ich es kommen sehen müssen. Aber eben nur eigentlich. Für viele, die nicht alleinerziehend sind, ist Erziehung im Grunde einfach – behaupten sie. Stimmt, sie sind zu zweit, zu dritt oder zu viert und in der Patchwork-Konstellation noch viele mehr. Aber ich kann mich nicht teilen, ich bin eben was ich bin: alleinerziehend. Oder doch nicht?

Getrennte Wege sind für keinen einfach

Für unseren Sohn, mitten im Vorschulalter, war es kaum begreiflich. Erst wurden die Sachen gepackt, dann sind wir ausgezogen und nun sieht er seine Mutter alle zwei Wochen für nicht einmal ganze zwei Tage. Der Weg dahin war lang, voller Zweifel, Anschuldigungen und nicht selten flossen Tränen.

Die Stunden, die der kleine Mann bei seiner Mutter verbringt, wühlen ihn auf. Er kommt mit vielen Geschichten am frühen Sonntagabend heim und ich muss schon sehr gut vorbereitet sein. Denn ich weiß, dass er viel zu erzählen hat und ich seine Ängste, Sorgen und Nöte auffangen muss. Niemand fragt, wie ich das mache. Weder die Behörden noch die Pädagogen in der Kindertagesstätte interessieren sich für diese kleinen Situationen, die für uns entscheidend sind. Somit bin ich alleine und muss mich in Balance halten, um nicht einfach umzukippen.

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Alleine erziehen – das steckt in Mutter Natur

Erziehung ist Teil der Natur. Wir sind mit unseren Urinstinkten darauf vorbereitet. Doch der natürliche Prozess bezieht sich auf ganz banale Vorgänge und ist nicht mehr mit der Komplexität unserer Gesellschaftsform vereinbar. Deshalb habe ich mich auf die Zeit der alleinigen Erziehung vorbereitet.

Online gibt es viele Foren, Ratgeber und Informationen zum Thema alleinige Erziehung eines Elternteils. Und in vielen Berichten von Alleinerziehenden steht immer etwas davon, dass sie aus der Balance geraten. Was soll so schwierig sein, ein Kind zu erziehen? Meine Mutter hat vier Kinder alleine großgezogen. Unser Vater war bei Zeiten vom Hof und wir mussten ohne ihn auskommen. Meine Mutter kann ich nicht mehr Fragen in der Situation, sie ist schon seit Jahren tot. Auch sonst habe ich keine weiteren Familienkontakte mehr, was in diesem Land nicht ungewöhnlich ist. Man hat sich auseinandergelebt.

Deshalb habe ich mich in die Worte anderer vertieft und dieses „aus der Balance geraten“ blieb mir zunächst ein Rätsel. Bin ich ausreichend belastbar? Wie ist es um meine mentale Gesundheit bestellt? Schaffe ich es, in entscheidenden Situationen ruhig zu reagieren oder werde ich verzweifeln? Mir können andere viel Ballast aufladen, schon in der Schule war ich Ansprechpartner für alles. Was soll schon passieren?

Bin ich noch ausbalanciert?

Manchmal frage ich mich, ob ich noch in der Balance bin. Ob das, was ich spüre, die Grenze der Balance ist oder ich einfach eine Flut an eigenen Erlebnissen und Gefühlen nicht verarbeitet habe. Die ausgerechnet jetzt, wo ich alleinerziehender Vater bin, hochkommen.

Mein Leben hat sich mit unserem Sohn – ich schreibe bewusst unser Sohn, weil er immer das Kind beider Elternteile bleibt und durch eine Trennung nicht vollständig zu einem einzelnen Elternteil übergeht – radikal verändert. Plötzlich merke ich sehr genau, wovon ich in der Vorbereitungszeit las. Heute verstehe ich die alleinerziehenden Mütter und Väter, die manchmal verzweifeln, weil sie an sich und ihrer Fähigkeit, ein Kind alleine zu erziehen, zweifeln.

Unser Sohn fordert mich im Alltag in den unterschiedlichsten Situation massiv heraus. Einmal geht es im Supermarkt um ein Produkt, welches er haben möchte und ich nicht kaufe. Ein anderes Mal geht es um die Schlafenszeit. Manchmal ist er vom Alltag überfordert, dann ist er aufbrausend und tollt herum. Ich muss ihm die Aufmerksamkeit schenken, irgendwo zwischen Job, Besuch beim Kinderarzt, Einkaufen und dem Abspülen des schmutzigen Geschirrs in der Küche. Zwischen all diesen alltäglichen Galaxien.

Auf der Insel Balkonien

Es war eine bewusste Entscheidung, dass ich als Vater die Erziehung nach der Trennung übernehme. Damit habe ich mich auch bewusst dazu entscheiden, einen Teil meiner eigenen Freiheiten aufzugeben, weil ich für unseren Sohn verantwortlich bin. Doch kein Mensch kann seinen Alltag durchstehen, wenn es nicht irgendwo auf dem Planeten einen kleinen Rückzugsort gibt. Der mir nur diesen einen Moment der Ruhe schenkt.

Ich nenne diesen Rückzugsort meine Insel Balkonien der vier Jahreszeiten. Es ist in unseren Räumen der einzige Ort, wo ich besonders zur kalten Jahreszeit alleine sein darf. Dort nehme ich ein Buch oder das Smartphone mit, um mich für einen Augenblick abzulenken. In eine Romanwelt zu flüchten oder mir die Tageszeitung online in Ruhe durchzulesen. Die Balance zurückerobern, um wieder für ein Stück der kommenden Zeit gewappnet zu sein.

Jeder Tag ist lehrreich

Alleinerziehend bedeutet, voneinander zu lernen. Wir sind auf uns gestellt und müssen uns aufeinander verlassen können. Das hindert uns aber nicht daran, Meinungsverschiedenheiten auszutragen. Oft sind es hitzige Duelle, denn ein Kind im Vorschulalter hat ernst zu nehmende Argumente, die ich nicht immer auf Anhieb erkenne. So beiße ich mich manchmal wie ein Terrier in der Situation fest.

Wir haben Hörner auf und tragen jedes Duell mit Würde aus und trotzdem fließen Tränen. Vorwiegend bei unserem Sohn, denn er koordiniert seine Gefühle anders als ich. Als der Erzieher in unserem Mini-Familienhaushalt muss ich reflektieren, ohne in Selbstzweifel oder -mitleid zu verfallen. Es ist wichtig, seine Fehler einzugestehen, zuzugeben, dass man nicht perfekt ist. Jeder Fehler ist eine Lehre, aus der wir neue Erkenntnisse ziehen. Die uns in der nächsten Situation helfen, die Dinge zu strukturieren, die auf uns zukommen.

Obwohl ich für den größten Teil der Zeit unseren Sohn alleine erziehe, bin ich nicht vollständig alleinerziehend. An den Wochenenden, die unser Sohn bei seiner Mutter verbringt, übernimmt sie einen Teil der Erziehung. Sein Umfeld in der Kindertagesstätte erzieht ihn ebenso mit. Meine Aufgabe als Vater ist es, die verschiedenen Erziehungsansätze zu balancieren.

Christian

Christian ist Vater von Zwillingen und einem kleinen Nachzügler. Von Beruf ist Christian Sozialpädagoge und arbeitet in einem Jugend- und Kinderzentrum. Er unterstützt mich bei Themen zu Kindererziehung und hilft mir bei der Auswahl der richtigen Produkte für unsere Vergleiche.